Die Dämonisierung von Amazon, Schwarze Fenster und Blumenkübel werden den Niedergang des stationären Einzelhandels nicht stoppen. Da muss mehr kommen.
über Mit Blumenkübeln in Fußgängerzonen gegen den Beratungsklau vorgehen – Stationäre Händler und das Internet – CIO Kurator
Na ja, beim Thema Dämonisierung von Amazon muss ich schon schlucken. Da gibt es durch genug zu kritisieren, aber ja, der stationäre Handel oder Einzelhandel haben deutlichen Nachholbedarf. Und das Thema Einzelhandel emotionalisiert und bewegt durchaus die Bürgr/innen. Eine meiner meist gelesenen und (in der Darmstadt-Gruppe auf Facebook) kommentierten Beiträge aus diesem „Block“ war Lokaler Einzelhandel oder warum Tina und ich in der heimischen Fleischerei einkaufen.
Tattoo-Studios, Maniküre, Pediküre, Sport Café, Friseur …
Vier von fünf Deutschen wollen ihre Geschenke in diesem Jahr bei Amazon kaufen, sagt zumindest diva-e, ein Münchner Dienstleister für den E-Commerce. Die Woche im Handel: Eine Online-Krake ist kein Kundenstreichler
Einige Darmstädter schwelgten in Erinnerungen, jedoch gab es durchaus kritische Kommentare zum Einzelhandel. Nun scheinen wir in Darmstadt-Eberstadt noch immer im Vergleich zum von Gunnar zitierten Bonn-Duisdorf in einer Einzelhandels-Idylle zu leben, selbst wenn bei uns auch immer mehr Tattoo- und Maniküre-Pediküre-Studios geschwürartig um sich greifen und den lange Jahre so beliebten „Budiggen“, Döner-Läden, Sport Cafés und Spielhallen Konkurrenz machen. Doch noch immer werden laufend Laden- und Gewerberäume angeboten, nicht nur, weil Geschäfte pleite gegangen sind, sondern ständig neue Objekte gebaut wurden. Welche „Gewerbe“ sollen denn noch da rein, auch in einer eher kaufkräftigen Gegend wie Ewerschtt? Der zweite Weinladen nach der Weingalerie wird bald eröffnen, doch das wird die leeren Immobilienflächen nicht füllen. Eher wird wohl einer der Läden irgendwann wieder frei werden.
Ab 18 Uhr geschlossen
Die meisten Geschäfte – bis auf den Supermarkt – schliessen um 18 Uhr. Dann kann man nun einmal nicht beim lokalen Metzger und Bäcker einkaufen. So einer der Einwände auf Facebook, warum nicht lokal gekauft werden kann. Falls es den Metzger überhaupt noch gibt … Doch für unsere Ewerschterr Metzger scheinen sich längere Öffnungszeiten nicht wirklich zu lohnen oder man findet nicht das entsprechende Personal. Vielleicht ist es auch nur Gewohnheit an die eingeschliffenen Öffnungszeiten? Auf beiden Seiten, der Verkäufer/innen und der Kunden/innen? Ich weiß es nicht.
Logischerweise gibt es noch viele andere Gründe dagegen, den stationären Handel aufzusuchen. Parkplätze seien nicht ausreichend vorhanden. Auch diese Klage ist oft zu hören. Fachliche Kompetenz fehle in vielen Geschäften. Da sind wir wieder bei Gunnars Beitrag. Klar. Wir werfen hier einiges in einen Topf. Den Bäcker und Metzger mit dem Elektrofachgeschäft und dem Handy-Laden und dem abendlichen und täglichen Kneipen- und kulturellen Leben.
Lokaler Handel überlebt nur durch Qualität, Fachkompetenz und besseren Service
Es gibt genug Empfehlungen, einen Wahn, stationäre „Läden in eine Art Digitallabor zu verwandeln, um sich irgendwie als fortschrittlich zu präsentieren„. Ein zweiter Trend lautet Einkaufserlebnis. Was heisst das aber eigentlich? Käufer/innen scheinen andere Prioritäten zu haben. Sie stehen auf „weiche Faktoren“ wie Vertrauen, Kundenservice und Emotionalität der Marke. Wie titelt auf Steffen Gerth auf etailment so schön: Eine Online-Krake ist kein Kundenstreichler.
Für mich bleiben vor allem Qualität, Fachkompetenz und besserer Service die Säulen, auf denen auch ein stationärer Handel überleben könnte. Beim Preis des Pullovers, den Gunnar anschaulich zitiert, wird im Zweifelsfall der lokale Laden nicht mithalten können:
Da kommen doch glatt Leute in das Geschäft rein, probieren Pullover, fotografieren die ersehnten Stücke, fragen direkt über eine App nach dem günstigsten Anbieter und verschwinden wieder ohne Kauf aus dem Geschäft.
über Mit Blumenkübeln in Fußgängerzonen gegen den Beratungsklau vorgehen – Stationäre Händler und das Internet – CIO Kurator
Dass ich das Verhalten auch daneben finde (so nicht der Preis deutlichst über dem Online-Angebot liegt), will ich hier aber auch erwähnen, lieber Gunnar. Egal. Mein lokales Elektrogeschäft überzeugt mich, weil ich dort noch Sachen zum Reparieren geben kann und man mich kompetent berät. Deshalb habe ich auch den Fön dort und nicht bei Amazon oder im großen Media Markt gekauft. Übrigens war der Fön auch kaum teurer. Und ja, ich weiß, den beschriebenen Service und die fachliche Kompetenz haben viele Geschäfte nicht mehr. Es ist mehr ein Rat für diejenigen, die ein neues Geschäft aufmachen wollen und meiner festen Überzeugung nach die einzige Chance, wie man lokal mit einem Laden überleben und leben kann.
Es gab einmal … die kleine Kneipe in unserer Straße
Gunnar bemängelt auch, dass kein Leben mehr in den Innenstädten „stattfindet“. Keine Kneipenszene, um 19 Uhr werden allerspätestens die Bürgersteige hochgeklappt. Ist auch bei uns in Ewerschtt meiner Wahrnehmung nach kaum anders. Die beiden Eiscafés haben noch tagsüber bei schönem Wetter Betrieb, aber dann ist auch Schluss. Eine klassische Wirtschaft alten Schlags namens „Alt Ewerschtt“ habe ich noch identifiziert, wo es noch bei jedem Tor der Lilien ein freies Bier oder einen Schnaps gab. Sonst ist Ewerschtt kein Kneipen-Stadteil. Da muss man nach Darmstadt in die entsprechenden Viertel rein. Vielleicht ist aber auch einfach nicht der Markt für die kleine Kneipe in unserer Straße da. Vielleicht ist er aber auch wieder da und keiner merkt es.
Das Szenario leerer Innenstädte ist nicht unbedingt das, was ich mir vorstelle, aber leider schon Realität in vielen Kommunen. Bekannte haben mir gerade von Weilburg an der Lahn berichtet, einem Ort mit schöner Altstadt, die aber wohl unterdessen mehr oder weniger ausgestorben ist.
Lieferservices mit Qualitätsprodukten als Alternative zu Amazon, Rewe & Co?
Zurück zum Handel, zu Lebensmitteln und Grundversorgung: Blicken wir jetzt noch in ländliche Regionen, wird die Situation noch düsterer. Bleibt dort eigentlich noch eine Alternative zu Amazon & Co. oder dem Groß- und Vorratseinkauf im Supermarkt? Bring-Services haben sich trotz Bofrost oder anderen Diensten meiner Wahrnehmung nach nicht durchgesetzt oder sind vielleicht nicht profitabel genug. Man wird sicher sehen, wie sich Rewe oder Amazon mit ihren Diensten etablieren. Ich freue mich dann immer besonders, wenn ich über Alternativen wie FrischePost – leider wohl nur für Hamburg – lese:
Frischepost liefert nachhaltig produzierte Lebensmittel aus der Region direkt vom Erzeuger zum Endverbraucher in die Stadt. Im Online-Shop frischepost.de können sich Kunden ihren Warenkorb mit Produkten aus den Bereichen Obst und Gemüse, Milchprodukte, Backwaren, Fleisch und Fisch, Getränke sowie Manufaktur- und Drogerieprodukte frei nach Wahl zusammenstellen und mit einem Klick nach Hause liefern lassen. Ausgeliefert werden die Lebensmittel innerhalb eines Tages, ganz umweltfreundlich mit Elektroautos und in Mehrwegverpackungen.
über Start-ups: Frischepost – Der digitale Hofladen
Ich glaube, wir brauchen viel mehr solche pfiffige Ideen und Alternativen für die Versorgung auf dem Land und auch in der Stadt jenseits der gewohnten Ladenöffnungszeiten. Hoffentlich wird dieses Feld nicht auch noch Amazon überlassen!
(Stefan Pfeiffer)